Kaum im Amt, findet die neue Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bereits markige Worte. Mit dem „Anwesenheitswahn“ in Unternehmen müsse Schluss sein, fordert die Sozialdemokratin. „Wir müssen Vollzeit neu definieren.“ Papa und Mama sollten auch mal öfter nachmittags zu Hause sein.
Es ist ein neuer Tonfall im Arbeitsministerium - und der kommt zur richtigen Zeit. Ursula von der Leyen und Olaf Scholz, ihre Vorgänger im Amt (den 33-Tage-Arbeitsminister Franz-Josef Jung lassen wir mal außen vor), hatten das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf zwar auch auf dem Zettel, aber Nahles’ Wortwahl zeigt schon: Sie will hier energischer vorgehen und verkrustete, familienunfreundliche Arbeitsstrukturen bekämpfen. Schon als SPD-Generalsekretärin machte sie sich für eine staatlich bezuschusste 30-Stunden-Woche für junge Eltern stark.
"Frau Nahles hat mit ihrer Kritik völlig Recht"
Anwesenheitswahn in deutschen Unternehmen? Das lässt der Bundesverband der Arbeitgeber nicht auf sich sitzen. „Kein Arbeitnehmer muss ständig erreichbar sein, im Gegenteil: Durch flexible Arbeitszeiten und die Nutzung von Arbeitszeitkonten versuchen Unternehmen schon heute, betriebliche Belange mit persönlichen Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter in Einklang zu bringen“, ist beim Bundesverband der Arbeitgeber zu hören.
Doch die Versuche sind ausbaufähig. „Frau Nahles hat mit ihrer Kritik völlig Recht. Wir sind zwar im internationalen Vergleich gut aufgestellt, aber noch nicht top“, sagt Arbeitswissenschaflter Wilhem Bauer der Huffington Post. Bauer ist Leiter vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart. Beim Thema flexible Arbeitszeitmodelle sind uns in Europa die Skandinavier und Niederländer weit voraus, betont Bauer. Und dort, das zeigen Studien, sind Arbeitnehmer wesentlich zufriedener.
Letztlich ist die nun diskutierte Flexibilität also vor allem eins: wirtschaftlich notwendig. Denn in vielen Branchen werden die Arbeitskräfte knapp. Die Unternehmen brauchen also immer bessere Argumente, um junge Talente für sich zu begeistern. Vor allem hakt es an folgenden Punkten:
(Quelle: Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit)
"Das iPhone in der Tasche ist ein Terrorist"
Dabei habe das sogenannte Home-Office nicht nur Vorteile, kritisieren einige. „Das iPhone in der Tasche ist auch ein Terrorist in der Tasche“, warnte die ehemalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen auf der Digitalkonferenz "DLD Women". Von der Leyen sieht in der heutigen Arbeitswelt die Gefahr, immer online erreichbar zu sein. Manche Experten warnen, dass Home-Office träge machen kann und sich die Arbeitszeit nur vom Tag in die Nacht verschiebt. Andere Experten beklagen eine mögliche soziale Isolation: die Teamarbeit im Büro fehlt genauso wie der informelle Plausch der Kollegen in der Teeküche und Kantine. Yahoo-Chefin Marissa Mayer will daher in ihrem Unternehmen Home-Office wieder abschaffen.
Home-Office als Karrierekiller?
Manche Arbeitnehmer befürchten wiederum, der Verzicht auf den "Anwesenheitswahn" könne ein Karriere-Killer sein, weil ein Wiedereinstieg in einen geregelten, klasssichen Bürojob schwer bis unmöglich wird. "Die Ängste mancher Arbeitnehmer sind begründet", sagte der Wirtschaftspsychologe Dieter Frey von der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Es gibt genügend Intrigen: So werden Entscheidungen getroffen, ohne die Kollegen einzubinden, die von zu Hause aus arbeiten", sagt Frey. "Auch wenn Büroräume oder Arbeiten neu verteilt werden, verlieren manche Vorgesetzte ihre überwiegend im Home Office arbeitenden Angestellten aus den Augen. Deshalb ist es so wichtig, dass das Top-Management sich klar für das Arbeiten von zu Hause ausspricht und selbst als Vorbild fungiert“.
Die Generation Y denkt anders
Nahles’ Kritik am „Anwesenheitswahn“ kommt aber trotz all dieser Einwände zum richtigen Zeitpunkt. Denn die Entwicklung hin zu flexibleren Arbeitszeiten und -Modellen lässt sich nicht mehr stoppen.
Die „Generation Y“ drängt gerade auf den Arbeitsmarkt und das Y steht für das englische "why", eine Frage, die diese nach 1980 geborenen Menschen viel öfter stellen. Die Generation Y gilt zwar als unpolitisch, lässt sich im Job aber nicht mehr alles bieten. Sie will Sinn in dem erkennen, was sie tut - und Spaß haben. Deshalb hinterfragen die Ypsiloner die Regeln der Arbeitswelt viel kritischer - und beginnen, diese neu zu definieren.
Unternehmen, die diesen Weg nicht mitgehen, werden künftig kaum noch an Personal kommen. Das zeichnet sich heute schon ab. „Es ist verblüffend, dass Väter mit einem acht Monate alten Kind heute nicht mehr so leicht für einen Jobwechsel zu gewinnen sind", sagt der Personalberater Sebastian Rattunde von Alto Partners. "Während Männer vor fünf bis zehn Jahren gerade in dieser Phase ihre Karriere voranbringen wollten, schauen sie jetzt stärker auf ihre Familie statt sich in einem neuen Job beweisen zu müssen“.
Status und Besitz haben für die Generation Y nur noch einen geringen Stellenwert, schreibt auch Wirtschaftpsychologin Alexandra Hildebrandt in einem Gastbeitrag für die Huffington Post. Es ist kaum zu übersehen: Da kommt etwas in Bewegung.
Doch bei der ganzen Diskussion bleibt die Frage, ob die flexible Ausgestaltung von Arbeitsplätzen wirklich ein Thema für die Politik ist. Vermutlich wird es der Markt besser von allein regeln. Denn die Unternehmen werden die Sprache der neuen Generation schnell verstehen lernen. Dann nämlich, wenn sie kaum noch Resonanz auf ihre Jobangebote erhalten.
Nahles sollte sich daher mindestens genauso intensiv mit der Frage beschäftigen, wie junge Paare ihr Familienleben und ihren Job vereinbaren können. In vielen Städten fehlt es beispielsweise immer noch an Kita-Plätzen und zudem zunehmend an bezahlbarem Wohnraum. Auch dann, wenn diese Themen aus PR-Sicht mittlerweile viel undankbarer sind, sollte sich die neue Bundesregierung um Lösungen bemühen.
Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation sucht Teilnehmer, die an der Studie "Arbeitswelten 4.0 - Wirkung unserer Arbeitsumgebung" teilnehmen möchten. Zur anonymen Umfrage geht es hier.
Es ist ein neuer Tonfall im Arbeitsministerium - und der kommt zur richtigen Zeit. Ursula von der Leyen und Olaf Scholz, ihre Vorgänger im Amt (den 33-Tage-Arbeitsminister Franz-Josef Jung lassen wir mal außen vor), hatten das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf zwar auch auf dem Zettel, aber Nahles’ Wortwahl zeigt schon: Sie will hier energischer vorgehen und verkrustete, familienunfreundliche Arbeitsstrukturen bekämpfen. Schon als SPD-Generalsekretärin machte sie sich für eine staatlich bezuschusste 30-Stunden-Woche für junge Eltern stark.
"Frau Nahles hat mit ihrer Kritik völlig Recht"
Anwesenheitswahn in deutschen Unternehmen? Das lässt der Bundesverband der Arbeitgeber nicht auf sich sitzen. „Kein Arbeitnehmer muss ständig erreichbar sein, im Gegenteil: Durch flexible Arbeitszeiten und die Nutzung von Arbeitszeitkonten versuchen Unternehmen schon heute, betriebliche Belange mit persönlichen Bedürfnissen ihrer Mitarbeiter in Einklang zu bringen“, ist beim Bundesverband der Arbeitgeber zu hören.
Doch die Versuche sind ausbaufähig. „Frau Nahles hat mit ihrer Kritik völlig Recht. Wir sind zwar im internationalen Vergleich gut aufgestellt, aber noch nicht top“, sagt Arbeitswissenschaflter Wilhem Bauer der Huffington Post. Bauer ist Leiter vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart. Beim Thema flexible Arbeitszeitmodelle sind uns in Europa die Skandinavier und Niederländer weit voraus, betont Bauer. Und dort, das zeigen Studien, sind Arbeitnehmer wesentlich zufriedener.
Letztlich ist die nun diskutierte Flexibilität also vor allem eins: wirtschaftlich notwendig. Denn in vielen Branchen werden die Arbeitskräfte knapp. Die Unternehmen brauchen also immer bessere Argumente, um junge Talente für sich zu begeistern. Vor allem hakt es an folgenden Punkten:
- Einige Mitarbeiter mit Vollzeit-Jobs wollen im Job etwas kürzer treten, um sich stärker der Familie zu widmen. Andere mit Teilzeit-Jobs wollen ein paar Stunden aufstocken – zum Beispiel, wenn die Kinder auf die weiterführende Schule wechseln. Eigentlich müsste das passen: Die einen wollen mehr arbeiten, die anderen weniger - doch so viel individuelle Flexibilisierung ist für einige Unternehmen zu viel, kritisieren Experten. Unternehmen, die hier etwas zu bieten haben, dürften schnell ein Alleinstellungsmerkmal entwickeln.
- Wenn ein Arbeitgeber in Zeiten des Fachkräftemangels besonders attraktiv sein will, bietet er jungen Vätern und Müttern Betriebs-Kitas an. So weit die Theorie. Denn in der Realität gibt es solche Einrichtungen kaum – wenn überhaupt, dann nur in sehr großen Unternehmen. Eigene Angebote für Kinderbetreuung hatten im vergangenen Jahr nur 3,4 Prozent der Unternehmen, kritisierte unlängst eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln.
- Nur jedes fünfte deutsche Unternehmen lässt seine Mitarbeiter überhaupt von unterwegs oder von zu Hause aus arbeiten. Es ist eher die Ausnahme als die Regel, obwohl virtuelle Meetings mit ein paar Mausklicks oder ein paar Wisch-Bewegungen auf dem Tablet einzurichten sind. Die Büro-Unterlagen sind in der Daten-Cloud abgepeichert.
Mitarbeiter können bequem mit dem Laptop auf dem Schoß auf der Wohnzimmer-Couch oder an fast jedem anderen Ort der Welt sitzen und arbeiten. Das stressige Pendeln zur Arbeit: fällt weg. Die Besuche der pflegebedürftigen Eltern oder das Kochen für die Kinder: fällt einfacher. Kein Wunder also, dass 37 Prozent der Deutschen gern an einigen Wochentagen von zu Hause aus arbeiten wollen - 20 Prozent sogar täglich, ergab eine Bitkom-Umfrage.
Und warum denn auch nicht? Flexible Arbeitszeiten machen Arbeitnehmer nicht nur zufriedener - sie sind längst auch technisch möglich. Damit machen sie die Mitarbeiter produktiver, weil die Menschen ihre Work-Life-Balance positiver bewerten, ergaben Studien des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation.
(Quelle: Unternehmensmonitor Familienfreundlichkeit)
"Das iPhone in der Tasche ist ein Terrorist"
Dabei habe das sogenannte Home-Office nicht nur Vorteile, kritisieren einige. „Das iPhone in der Tasche ist auch ein Terrorist in der Tasche“, warnte die ehemalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen auf der Digitalkonferenz "DLD Women". Von der Leyen sieht in der heutigen Arbeitswelt die Gefahr, immer online erreichbar zu sein. Manche Experten warnen, dass Home-Office träge machen kann und sich die Arbeitszeit nur vom Tag in die Nacht verschiebt. Andere Experten beklagen eine mögliche soziale Isolation: die Teamarbeit im Büro fehlt genauso wie der informelle Plausch der Kollegen in der Teeküche und Kantine. Yahoo-Chefin Marissa Mayer will daher in ihrem Unternehmen Home-Office wieder abschaffen.
Home-Office als Karrierekiller?
Manche Arbeitnehmer befürchten wiederum, der Verzicht auf den "Anwesenheitswahn" könne ein Karriere-Killer sein, weil ein Wiedereinstieg in einen geregelten, klasssichen Bürojob schwer bis unmöglich wird. "Die Ängste mancher Arbeitnehmer sind begründet", sagte der Wirtschaftspsychologe Dieter Frey von der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Es gibt genügend Intrigen: So werden Entscheidungen getroffen, ohne die Kollegen einzubinden, die von zu Hause aus arbeiten", sagt Frey. "Auch wenn Büroräume oder Arbeiten neu verteilt werden, verlieren manche Vorgesetzte ihre überwiegend im Home Office arbeitenden Angestellten aus den Augen. Deshalb ist es so wichtig, dass das Top-Management sich klar für das Arbeiten von zu Hause ausspricht und selbst als Vorbild fungiert“.
Die Generation Y denkt anders
Nahles’ Kritik am „Anwesenheitswahn“ kommt aber trotz all dieser Einwände zum richtigen Zeitpunkt. Denn die Entwicklung hin zu flexibleren Arbeitszeiten und -Modellen lässt sich nicht mehr stoppen.
Die „Generation Y“ drängt gerade auf den Arbeitsmarkt und das Y steht für das englische "why", eine Frage, die diese nach 1980 geborenen Menschen viel öfter stellen. Die Generation Y gilt zwar als unpolitisch, lässt sich im Job aber nicht mehr alles bieten. Sie will Sinn in dem erkennen, was sie tut - und Spaß haben. Deshalb hinterfragen die Ypsiloner die Regeln der Arbeitswelt viel kritischer - und beginnen, diese neu zu definieren.
Unternehmen, die diesen Weg nicht mitgehen, werden künftig kaum noch an Personal kommen. Das zeichnet sich heute schon ab. „Es ist verblüffend, dass Väter mit einem acht Monate alten Kind heute nicht mehr so leicht für einen Jobwechsel zu gewinnen sind", sagt der Personalberater Sebastian Rattunde von Alto Partners. "Während Männer vor fünf bis zehn Jahren gerade in dieser Phase ihre Karriere voranbringen wollten, schauen sie jetzt stärker auf ihre Familie statt sich in einem neuen Job beweisen zu müssen“.
Status und Besitz haben für die Generation Y nur noch einen geringen Stellenwert, schreibt auch Wirtschaftpsychologin Alexandra Hildebrandt in einem Gastbeitrag für die Huffington Post. Es ist kaum zu übersehen: Da kommt etwas in Bewegung.
Doch bei der ganzen Diskussion bleibt die Frage, ob die flexible Ausgestaltung von Arbeitsplätzen wirklich ein Thema für die Politik ist. Vermutlich wird es der Markt besser von allein regeln. Denn die Unternehmen werden die Sprache der neuen Generation schnell verstehen lernen. Dann nämlich, wenn sie kaum noch Resonanz auf ihre Jobangebote erhalten.
Nahles sollte sich daher mindestens genauso intensiv mit der Frage beschäftigen, wie junge Paare ihr Familienleben und ihren Job vereinbaren können. In vielen Städten fehlt es beispielsweise immer noch an Kita-Plätzen und zudem zunehmend an bezahlbarem Wohnraum. Auch dann, wenn diese Themen aus PR-Sicht mittlerweile viel undankbarer sind, sollte sich die neue Bundesregierung um Lösungen bemühen.
Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation sucht Teilnehmer, die an der Studie "Arbeitswelten 4.0 - Wirkung unserer Arbeitsumgebung" teilnehmen möchten. Zur anonymen Umfrage geht es hier.