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Seit wann ist Google eigentlich böse?

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Es ist schon eine prachtvolle Ironie. Da gibt es ein Unternehmen, das sich bei seiner Gründung als Geschäftsgrundsatz die einfache Forderung "Don't be evil" verpasst hat, nur um heute als das dunkle Imperium dazustehen, vor dem Springer-Chef Mathias Döpfner mittlerweile offiziell Angst hat. Daraus ergeben sich zwei Fragen. Seit wann ist Google der offizielle Bösewicht und ist Angst ein guter Berater für die Weiterentwicklung der Kommunikationsbranche?

Streckenweise kann man den Eindruck haben, dass Google für viele Ängste vor allem eine besonders geeignete Projektionsfläche ist. Nicht umsonst sind derzeit zusammen mit der Kritik an dem Suchmaschinenriesen Wehklagen zu hören, dass es Europa nicht gelungen ist, Unternehmen wie Google, Facebook oder Amazon hervorzubringen. Google ist auch der in seinem disruptiven Wirtschaftsmodell verständlichste Vertreter einer amerikanischen "Invasion" der europäischen Informationswirtschaft.

Zudem ist Google das offensichtlichste internationale Symbol für den unersättlichen Datenhunger von global operierenden Organisationen, denen sich die Internetnutzer zunehmend hilflos ausgesetzt fühlen. Bei anderen digitalen Mega-Marken wie Apple, Facebook, Amazon und Co ist der Datenhunger kein so offensichtlich zentraler Träger des Geschäftsmodells. Bei den besonders hungrigen Datenkraken der Spionageorganisationen wie NSA sind die persönlichen Protestmöglichkeiten naturgemäß begrenzt. Bleibt Google als Symbol eines Trends zur völligen Durchleuchtung des Individuums, das von der Öffentlichkeit zunehmend als Entmündigung empfunden wird.

Dass um diese Entwicklung nun endlich eine gesellschaftliche Diskussion in Gang kommt, wie sie unter anderem von "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher vorangetrieben wird, ist letztlich auch für die Vertreter der digitalen Wirtschaft nur zu begrüßen. Denn bisher agierten sie nach dem Prinzip: Mal sehen, was geht. Facebook etwa begann mit im eigenen Sinn maximal vorteilhaften Geschäftsbedingungen für die Verwertung der Nutzerdaten und ist seitdem immer nur als Reaktion auf Proteste der Nutzer und Warnungen der Politik sukzessive zurückgerudert. Amazon hält bis heute an der Regelung fest, dass Kindle-Besitzer zwar E-Books kaufen, aber nicht von ihrem E-Reader auf Amazon-fremde Geräte übertragen können. Damit hat Amazon jederzeit Verfügungsgewalt über die Bücher, die es doch eigentlich seinem Kunden verkauft hatte.

Wem gehören die Nutzerdaten? Diese Frage muss gesellschaftlich diskutiert und zu einem politischen Konsens geführt werden, wenn die digitale Wirtschaft auf einer dauerhaften Basis stehen will. Dabei geht es zum einen darum, Fehlentwicklungen zu korrigieren: So hat der Europäische Gerichtshof das Recht auf Vergessenwerden gerade in einem Verfahren gegen Google festgeschrieben. Ein Recht, über das die europäische Politik immer noch ergebnislos streitet. Mit einem Manifest hat das von vielen Medienunternehmen und Verlagen getragene Open Internet Project gerade die argumentative Grundlage für das nächste Wettbewerbsverfahren gegen Google gelegt. Und auch bei der Diskussion um die Netzneutralität geht es letztlich darum, wie das Internet als gesellschaftlicher Raum in Zukunft aussehen soll.

Allerdings enthebt dieser sehr berechtigte Kampf die Kritiker von Google nicht der Pflicht, eine Vision für ihre eigene Rolle in der digitalen Welt zu entwickeln. Denn wie schon EU-Kommissar Joaquin Almunia in seiner Antwort auf Döpfners offenen Brief formulierte: "Politisch bedenklich ist nicht eine marktbeherrschende Stellung, sondern der Missbrauch dieser markbeherrschenden Stellung." Google wird also nicht durch seine unbestrittene Macht schon böse, erst wenn es diese Macht missbraucht.

Eine Debatte um die böse Seite von Google kann daher aus Sicht der Kommunikationsbranche nicht genug sein. Es muss auch stets darum gehen, was Google besonders gut macht und was sich daraus lernen lässt. Denn dass Google bisher in so einer exzellenten Verhandlungsposition gegenüber der Medien- und Werbebranche war, hat auch viel damit zu tun, dass die Suchmaschine bis heute - und speziell in Deutschland - von den Internetnutzern als nützlich und wertvoll empfunden wird. Heimische Wettbewerber wie Lycos, das in seinen besten Tagen mal 12 Milliarden US-Dollar wert war, hat Google nicht politisch neutralisiert, sondern schlicht im Wettbewerb um die Kundengunst geschlagen. Seitdem hat sich in Deutschland kein ernsthafter Herausforderer mehr gefunden.

Unbestritten ist, dass die Medienbranche die Entwicklung eigener Wertschöpfungsmodelle, die von den Besonderheiten des Internet profitieren, nicht sonderlich energisch vorangetrieben hat. Zunächst ging es zumeist um die Verlängerung oder Verteidigung bestehender Modelle. Wie Patrick Baudisch, Leiter des Fachbereichs Human Computer Interaction des Hasso-Plattner-Instituts, auf dem ADC-Festival anschaulich schilderte, liegt es in der menschlichen Natur, schlecht auf das für Paradigmenwechel typische exponentielle Wachstum vorbereitet zu sein: "Denn in einer exponentiellen Kurve gibt es sehr lange Zeit nur marginale Veränderungen. Und wenn die Veränderungen wirklich spürbar werden, bleibt dann nur noch sehr wenig Zeit zum Reagieren."

Aus Sicht der Verlage, Radiosender und Fernsehprogramme war die Internetnutzung in Bezug auf ihr Kerngeschäft lange Zeit ein Ort marginaler Veränderungen. Nun ist die Zeit zu Reagieren entsprechend kurz. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Traditionsmedien auf der Suche nach der eigenen Rolle auf verlorenem Posten stehen würden. Der Handel, der unter der Konkurrenz von Amazon ähnlich zu leiden hat, zeigt derzeit anschaulich, dass es Grund zum Optimismus gibt: Hier reicht die Palette von Traditionsmarken wie Galeria Kaufhof, die dank Multichannel-Orientierung wieder auf die Erfolgspur kommen, über deutsche Herausforderer der internationalen Eroberer wie Zalando und die Tolino-Plattform des deutschen Buchhandels bis hin zu deutschen Unternehmen wie Otto, das mit seiner Open-Commerce-Plattform Collins eine völlig neue Strategie für die Online-Ökonomie entwickelt hat.

Keins dieser Projekte lässt, möglicherweise mit Ausnahme von Zalando, das Potenzial für ein deutsches Amazon erkennen. Genauso wenig ist es sinnvoll, auf die Entstehung eines deutschen Google zu hoffen. Denn eine deutsche Suchmaschine nach dem Vorbild Google wäre letztlich nur die Kopie eines vergangenen Erfolgsrezepts. Von den Handelsbeispielen lässt sich lernen, dass die beste Verteidigung immer noch in einem gut geplanten Angriff besteht. Dann ist es nämlich letztlich egal, ob Google gut oder böse ist. Dann geht es nur um eine Frage: Wie kann man es schlagen?

Santiago Campillo-Lundbeck

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