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Zurück zu den Wurzeln

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Beim diesjährigen „Petersburger Dialog", der in Leipzig stattfand, durfte man sich durchaus wieder an die Klassiker der Friedenswissenschaft erinnern. Putin und Merkel waren out, Kant war in.

Der „Petersburger Dialog" verleiht inzwischen schon seit 2001 dem deutsch-russischen Verhältnis dringend notwendige Impulse. Jährlich treffen sich dazu rund 200 Vertreter des öffentlichen Lebens und junger Eliten im Plenum und in Arbeitsgruppen. Firmen, Stiftungen und Regierungen unterstützen das Forum.

Doch in diesem Jahr war alles anders. Die Ukraine-Krise hat Putin den Vorwurf der Europäischen Union, der USA und vieler anderer Länder eingebracht, gegen das Völkerrecht verstoßen zu haben. Deshalb sagte die Bundesregierung die für Ende April in Leipzig geplanten gemeinsamen Regierungskonsultationen ab. Der traditionell parallel stattfindende „Petersburger Dialog" wurde von zwei Tagen auf rund zwei Stunden zusammengestrichen. Kein Putin- Grußwort, keine Botschaft von Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Eiszeit also?

Ein bisschen schon, wäre da nicht noch die Zivilgesellschaft. Nach Ansicht von Lothar de Maiziere (CDU), dem Vorsitzenden des deutschen Lenkungsausschusses, kommt es nun gerade auf die Kooperation der Bürger an. „Die Politiker reden nicht miteinander. Aber wir sind nicht die Politik, wir sind eine Nichtregierungsorganisation, sagte er in Leipzig und unterstrich gerade dadurch das Motto der Tagung „Dialog ist gelebte Krisenbewältigung."

Dass beim Petersburger Dialog der ehemalige brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) eine Auszeichnung des Russischen Außenministeriums für Freunde des Landes erhielt, war ebenfalls ein Zeichen, dass es irgendwie weiter gehen soll mit diesem Forum, das 2001 auf Initiative von Gerhard Schröder (SPD) und Wladimir Putin gegründet wurde. Der Orden habe natürlich etwas mit der gegenwärtigen Situation zu tun, meinte Stolpe in Leipzig, gleichzeitig dürfe man aber nie das offene Gespräch vergessen und müsse zuhören, was im Moment nicht ganz leicht sei. Der SPD-Politiker hatte sich nach 1990 vor allem in Fragen des Abzugs der sowjetischen Truppen engagiert. Heute widmet er sich unter anderem der Pflege russischer Soldatengräber aus dem 2. Weltkrieg und arbeitet in einer Stiftung gegen Intoleranz, Gewalt und Rassismus.

Heroisierung versus Menschlichkeit


Wenn Politik aktuell nicht mehr weiter weiß, entsinnt sie sich nicht nur der Zivilgesellschaft, sondern auch gern der Wissenschaft. Doch auch hier gab es kritische Untertöne. Professor Herfried Münkler von der Berliner Humboldt-Universität stellte in seinem Vortrag in Leipzig fest, dass die Zivilgesellschaft einen zu guten Ruf bei der Lösung von Konflikten habe. Auch sie falle gelegentlich säbelrasselnd den Eliten in den Arm.

Spätestens seit Napoleon mische sie sich bellizistisch in Konflikte ein und neige zu Heroisierung, zum Beispiel wenn sich junge Leute als Vaterlandsverteidiger sehen. Auch bei den letzten Konflikten in Europa etwa in Jugoslawien sei es die Zivilgesellschaft gewesen, die militärisches Eingreifen forderte und das dann als Friedensbemühung deklarierte. Grundlegendes Interesse an Frieden käme vor allem aus dem Wirtschaftsliberalismus, hob Münkler hervor.

Westeuropäische Gesellschaften gehören für ihn zum Bereich des Postheroismus. Diese Gesellschaften sparen das Blut ihrer Bürger. Bestes Beispiel dafür seien Kampfdrohnen. Osteuropa und damit auch Rußland und die Ukraine wären im Gegensatz zum modernen Westen nicht reich genug, um jungen Leuten ihre Heroisierung abzukaufen. Das mache diese Gesellschaften gefährlich. Trotzdem sei die Zivilgesellschaft das Gegenstück zu Ideologie und bringe langfristige Perspektive.

Dass es dennoch praktikable Friedensvorstellungen geben muss, erlebten die Gäste des „Petersburger Dialogs" dann allerdings bei Professor Michail Fedotow, Vorsitzender des Rates für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte beim Präsidenten der Russischen Föderation. Russland brauche Gemeinsamkeiten für eine gemeinsame Zukunft, die auf menschlichen Beziehungen basieren sollen. Natürlich seien diese zwischen Russland und Deutschland im Moment schwierig, aber man solle nicht vergessen, dass sowohl Deutschland als auch Russland durch eine Phase des Totalitarismus gegangen seien. Historische Abschnitte, die auch andere Länder Europas wie Portugal oder Italien schon einmal paralysiert hätten, sagte Fedotow.

Grüße von Immanuel Kant

Gernot Erler (SPD), Koordinator für die gesellschaftspolitische Zusammenarbeit mit Russland im Auswärtigen Amt, stellte dann am Ende der Debatte doch noch die konkreten Fragen nach Friedensvorstellungen im Konflikt mit Russland. Man müsse die positiven Elemente suchen und nach dem, was die Zivilgesellschaft erreicht habe. Eine intensive Zusammenarbeit zwischen der deutschen und russischen Gesellschaft sei vorhanden. Dazu gehören für Erler neben Kultur und Wissenschaft vor allem über 100 Städtepartnerschaften. Die Wirtschaftsbeziehungen seien ein Wert an sich. Einigen konnte man sich beim diesjährigen „Petersburger Dialog" auf jeden Fall auf einen gemeinsamen Nenner. Der heißt Kant und hat gesagt, dass während eines Krieges nichts passieren kann, was einen nachfolgenden Frieden unmöglich macht.

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