Eine Freundschaft, die sich aufs Geschäft gründet, ist besser als ein Geschäft, das sich auf Freundschaft gründet. (John D. Rockefeller)
Das Geschehen in dem 77-köpfigen ZDF-Fernsehrat, der die Programmgrundsätze festlegt und Intendanten in programmlichen Fragen berät, wird derzeit durch zwei große „Freundeskreise" geprägt. ZDF-Intendant Bellut besucht, wie er in der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht berichtete, am Vorabend einer Sitzung den Freundeskreis der Union, um sich über die anstehenden Beschlüsse informell abzustimmen. Seine Stellvertreterin nimmt an der Sitzung des SPD-Freundeskreises teil, der zur gleichen Zeit tagt. Auch in den ZDF-Ausschüssen, die zu bestimmten Fachfragen tagen, geht es nicht nur ums Geschäft, sondern um „Freundschaft".
Vieles findet dabei im Verborgenen statt, da die Tagesordnung und Sitzungsprotokolle regelmäßig nicht zeitnah zugänglich sind. Die starke Stellung der Freundeskreise resultiert vor allem daraus, dass rund 44 Prozent der Fernsehratsmitglieder aus dem Kreis der Regierungsmitglieder, Abgeordneten, politischen Beamten oder Mitgliedern politischer Parteien mit herausgehobener Verantwortung stammen. Nicht nur zahlenmäßig, mit einer Sperrminorität ausgestattet, sondern auch durch ihren Zugriff auf einen leistungsfähigen Verwaltungsapparat zur Vorbereitung von Sitzungen, dominieren sie über die Freundeskreise das Gremium. Ähnlich hoch ist der Einfluss dieser staatlichen oder staatsnahen Mitglieder im ebenso wichtigen Verwaltungsrat, der die geschäftliche Tätigkeit des Intendanten überwacht und an wichtigen Personalentscheidungen beteiligt ist.
Dieser Art der Gremienzusammensetzung und -arbeit soll, wenn es nach dem Willen der Karlsruher Richter geht, ein Riegel vorgeschoben werden. Da sich das Gericht bewusst ist, dass man informelle Freundeskreise nicht einfach durch Gesetz verbieten kann, wird der Anteil der „Staatsbank" in den Gremien begrenzt. Dieser darf nur noch maximal ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums betragen. Jedem staatlichen oder staatsnahen Mitglied stehen damit zukünftig zwei staatsferne Mitglieder gegenüber.
Bei der Auswahl der staatsfernen Mitglieder soll eine breite Vielfalt politischer und gesellschaftlicher Kräfte eingebunden werden. Gewünscht sind zudem föderale Brüche, die durch Entsendungen der Mitglieder aus verschiedenen Bundesländern bewirkt werden. In der Praxis wird es schwierig werden, diesem idealistischen Vielfaltsgebot Rechnung zu tragen. Da die Gremien eine überschaubare Größe haben müssen, sind den Listen der zu entsendenden Gremienmitglieder überwiegend Vertreter der großen Verbände zu finden. Karlsruhe verpflichtet daher den Gesetzgeber zu Recht, in seinen Rundfunkgesetzen auch kleinere Organisationen oder nicht organisierte Interessen zu berücksichtigen.
Um einer Vergreisung und Versteinerung der Zusammensetzung der Gremien entgegenzuwirken, fordern die Richter zudem eine Modernisierung und Dynamisierung der Entsenderegeln ein. Statt starrer Listenvorgaben soll es zukünftig Prüfpflichten im Hinblick auf die Aktualität der Mitgliederauswahl geben. Auch sollen einige Mitglieder auf Basis inhaltlicher Kriterien von den Parlamenten in die Gremien entsandt werden. Um die Unabhängigkeit der Mitglieder zu stärken, müssen sie hinsichtlich ihrer Aufgabenwahrnehmung weisungsfrei gestellt werden. Zudem muss die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit mobilisiert werden. Es ist für ein Mindestmaß an Transparenz zu sorgen. Die Gremienzusammensetzung muss ohne weiteres in Erfahrung gebracht werden können. Die Öffentlichkeit ist über die Gegenstände und Ergebnisse der Sitzungen substanziell zu unterrichten.
Nicht durchgesetzt haben sich in Karlsruhe Forderungen, die die Entsendung von Staatsvertretern in die Gremien gänzlich untersagen wollten. Da die Aufsichtsgremien Sachwalter der Interessen der Allgemeinheit sein sollen, lassen sich Vertreter der Politik nicht vollständig ausgrenzen. Es geht also um Staatsferne und nicht um Staatsfreiheit.
Trotz der vielfältigen Angebote im Internet setzt Karlsruhe weiter auf die duale Rundfunkordnung. Das Gericht vertraut zur Sicherung der Meinungsvielfalt nicht auf die Neuen Medien und überlässt auch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht komplett der Zivilgesellschaft. Vielmehr wird ein Organisationsmodell eingefordert, in dem staatsnahe mit staatsfernen Vertretern zusammenwirken, um das Ziel der Sicherung der Vielfalt zu gewährleisten.
Das Gericht entfaltet so eine bemerkenswerte Vision für die Zukunft der deutschen Medienordnung. Der öffentlich-rechtlichen Säule wird die Verpflichtung auferlegt, sich zu modernisieren. Anders als in Großbritannien, welches die Standards für Journalisten in Folge des Murdoch (Bestechungs)-Skandals drastisch verschärft hat, setzt das Gericht auf eine veränderte Gremienzusammensetzung und -organisation. Die Zivilgesellschaft soll auf Basis klarer Regeln die Chance bekommen, mit den staatsnahen Gremienvertretern zusammenarbeiten, um die demokratische Willensbildung zu fördern. Es wird sich zeigen, ob dieses idealistische Modell Chancen auf Erfolg hat und ob nicht die Politik wieder versuchen wird, mit Hilfe informeller Mechanismen den Grundsatz der Staatsferne zu unterlaufen. Dem ZDF wäre ein Erfolg zu wünschen. Es ist seine letzte Chance.
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