Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges begann die Ära der Menschenrechte, so scheint und schien es. Gesprochen, diskutiert und formuliert wurde natürlich schon viel früher, erste Gesetze darüber wurden bereits aus religiösen Schriften abgeleitet, oder der mehr als dreitausend Jahre alte Codex Ur-Nammu spricht von einer "Gleichheit der Bürger"; und die Idee, dass Menschen unveräußerliche Rechte haben, ist wahrscheinlich so alt wie das Bewusstsein, welches das Selbsterhaltungsrecht quasi automatisch generierte und dabei mehr ist als reiner Selbsterhaltungstrieb.
Nun aber, nach der Katastrophe des Krieges, angesichts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bekamen die Menschenrechte größere Popularität. Dies wurde bei der Gründung der UNO deutlich oder der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, ein jeder wollte sich von der vorhergegangen Unmenschlichkeit distanzieren, womit dieser moralische Anspruch auch recht zügig als Argument Menschenrechte Einzug in den nun beginnenden Kalten Krieg nahm. Und zwar auf allen Seiten. Die Kolonien, welche nach Unabhängigkeit strebten, nahmen es genauso für sich in Anspruch, wie die sozialistische Internationale oder der american way of life. Und immer wurde dem jeweiligen Gegner vorgeworfen, universelle Menschenrechte zu verletzen. Stefan-Ludwig Hoffmann spricht von "Moralpolik" und dass man die Geschichte der Menschenrechte als ein "Produkt der globalen Gewalt- und Konfliktgeschichte" schreiben müsse. Menschenrechte demzufolge keine Ziele hatten, sondern zur Legitimierung der eigenen Politik dienten, gewissermaßen eine vorgeschobene Moral waren.
Besonders krass sichtbar wird dieser Umstand, wenn man die offiziellen Verlautbarungen aus dem ehemaligen Ostblockländern anschaut, wie etwa der des ehemaligen DDR-Außenministers Oskar Fischer, der 1977 im SED-Blatt "Neues Deutschland" meinte, dass die sozialistischen Staaten längst verwirklicht hätten, was in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgelegt wurde. In einer bipolaren Welt wollte natürlich jeder die Moral auf seiner Seite haben und man scheute nicht einmal vor solch abenteuerlichen Erklärungen wie der des Herrn Oskar Fischer zurück. Zu diesem Zeitpunkt, in den späten 70ern, fühlte sich gerade der Westen moralisch im Vorteil, eigene Defizite diesbezüglich, hauptsächlich die der Rassenfrage in den Vereinigten Staaten, schienen keine große Rolle mehr zu spielen.
Utopien, wie die kommunistische, verloren beginnend mit den Siebzigern an Attraktivität, andere ebenso, insbesondere religiöse, und mit zunehmenden Fokus auf die Rechte des Menschen, seiner Individualität, so schien es, hätten die Menschenrechte über alle Ideologien gesiegt. Der geopolitische Wandel hatte zur Auflösung der bipolaren Welt geführt und mit dem Zusammenbruch des Ostblocks war der Höhepunkt des Menschenrechtsoptimismus erreicht. Wenngleich heute, im Rückblick, bezweifelt werden kann, ob der Menschenrechtsdiskurs überhaupt jemals eine treibende Kraft in der Ära der Menschenrechte war, sondern nur als moralische Legitimation eigener geopolitischer Interessen diente.
Zwar wurde noch versucht eine "neue Ära" der Menschenrechte einzuläuten, doch das Hickhack um das Einsetzen eines "Menschenrechtsrates" zeigte deutlich an, es geht vornehmlich um Macht und Einfluss. Und um dies nicht zu deutlich werden zu lassen, müssen eben moralisch allgemein anerkannte Begründungen her.
Noch deutlicher wird Samuel Moyen, dessen Äußerungen in der Besprechung von Stefan-Ludwig Hoffmanns Buch so beschrieben wurden:
Viel bewirkt und größere mediale Aufmerksamkeit hat diese Erklärung der Menschenpflichten nicht, geht es doch auch darin vornehmlich um die Rechte und Pflichten der Menschen unter- und miteinander. Schon zum Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Dokuments hatten sich ganz andere Narrative bezüglich der Menschenpflichten gebildet, deren Inhalt nun aber nicht mehr das Verhältnis zueinander beschrieb, sondern Pflichten der Menschheit unserem Planeten Erde gegenüber. Ganz ohne Menschenrechte geht dieser neue Diskurs aber auch nicht ab, nun müssen die Rechte der kommenden Generationen gegenüber der heutigen geschützt werden. Gegenwärtige Menschenpflicht resultiert aus zukünftigem Menschenrecht. "Ganz andere Ideologien", wie es Samuel Moyn ausdrückte, werden plausibler. Und hier ist es der konstruierte Gegensatz Mensch - Natur, der wieder eine Bipolarität schafft, um aus diesem Spannungsfeld Rechtfertigungen zur Begrenzung von Menschenrechten abzuleiten. Nun stehen nicht nur den heutigen Menschenrechten die von zukünftigen Generationen gegenüber, sondern auch einer Natur, der ebenfalls eigene Rechte eingeräumt werden, was zur Folge hat, dass der Entscheidungsspielraum der heute lebenden Menschen immer weiter eingeschränkt wird.
Bestimmen wird aber unser Handeln der Selbsterhaltungstrieb, der allerdings nicht nur auf einzelne Individuen beschränkt ist, sondern auch für Gesellschaften existiert, was zur Folge hat, dass geopolitische Interessen die eigentlich determinierenden Kräfte sind. So wie das schon zu Zeiten des Kalten Krieges war. Und je stärker eine Ideologie mit absolutem Wahrheitsanspruch die Basis einer Gesellschaft ist, um so mehr treten die Rechte des Individuums in den Hintergrund. Eine moralische Rechtfertigung für diese freiheitsbeschneidenden Maßnahmen, die als Menschenpflicht deklariert werden, bilden die Menschenrechte der Zukunft.
Damit verlassen wir aber den politischen Disput und begeben uns auf das Gebiet einer Prophetie, welche ein Heil in der Zukunft mit Verzicht in der Gegenwart erreichen möchte, dabei der Verzicht eben nicht nur ein materieller ist, sondern auch die Menschenrechte beinhaltet. Je mehr davon gesprochen wird, um so genauer sollte man hinschauen, was wirklich gemeint ist.
Ergänzend zum Thema:
Nachhaltige Entwicklung? - Die Welt gehört den Lebenden...
Beitrag auch erschienen in Glitzerwasser
Nun aber, nach der Katastrophe des Krieges, angesichts der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bekamen die Menschenrechte größere Popularität. Dies wurde bei der Gründung der UNO deutlich oder der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, ein jeder wollte sich von der vorhergegangen Unmenschlichkeit distanzieren, womit dieser moralische Anspruch auch recht zügig als Argument Menschenrechte Einzug in den nun beginnenden Kalten Krieg nahm. Und zwar auf allen Seiten. Die Kolonien, welche nach Unabhängigkeit strebten, nahmen es genauso für sich in Anspruch, wie die sozialistische Internationale oder der american way of life. Und immer wurde dem jeweiligen Gegner vorgeworfen, universelle Menschenrechte zu verletzen. Stefan-Ludwig Hoffmann spricht von "Moralpolik" und dass man die Geschichte der Menschenrechte als ein "Produkt der globalen Gewalt- und Konfliktgeschichte" schreiben müsse. Menschenrechte demzufolge keine Ziele hatten, sondern zur Legitimierung der eigenen Politik dienten, gewissermaßen eine vorgeschobene Moral waren.
Besonders krass sichtbar wird dieser Umstand, wenn man die offiziellen Verlautbarungen aus dem ehemaligen Ostblockländern anschaut, wie etwa der des ehemaligen DDR-Außenministers Oskar Fischer, der 1977 im SED-Blatt "Neues Deutschland" meinte, dass die sozialistischen Staaten längst verwirklicht hätten, was in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgelegt wurde. In einer bipolaren Welt wollte natürlich jeder die Moral auf seiner Seite haben und man scheute nicht einmal vor solch abenteuerlichen Erklärungen wie der des Herrn Oskar Fischer zurück. Zu diesem Zeitpunkt, in den späten 70ern, fühlte sich gerade der Westen moralisch im Vorteil, eigene Defizite diesbezüglich, hauptsächlich die der Rassenfrage in den Vereinigten Staaten, schienen keine große Rolle mehr zu spielen.
Utopien, wie die kommunistische, verloren beginnend mit den Siebzigern an Attraktivität, andere ebenso, insbesondere religiöse, und mit zunehmenden Fokus auf die Rechte des Menschen, seiner Individualität, so schien es, hätten die Menschenrechte über alle Ideologien gesiegt. Der geopolitische Wandel hatte zur Auflösung der bipolaren Welt geführt und mit dem Zusammenbruch des Ostblocks war der Höhepunkt des Menschenrechtsoptimismus erreicht. Wenngleich heute, im Rückblick, bezweifelt werden kann, ob der Menschenrechtsdiskurs überhaupt jemals eine treibende Kraft in der Ära der Menschenrechte war, sondern nur als moralische Legitimation eigener geopolitischer Interessen diente.
Zwar wurde noch versucht eine "neue Ära" der Menschenrechte einzuläuten, doch das Hickhack um das Einsetzen eines "Menschenrechtsrates" zeigte deutlich an, es geht vornehmlich um Macht und Einfluss. Und um dies nicht zu deutlich werden zu lassen, müssen eben moralisch allgemein anerkannte Begründungen her.
Noch deutlicher wird Samuel Moyen, dessen Äußerungen in der Besprechung von Stefan-Ludwig Hoffmanns Buch so beschrieben wurden:
Insbesondere stünde wohl zu erwarten, dass der in Gang befindliche "geopolitische Wandel" nicht nur weg geführt habe vom Menschenrechtsoptimismus der 1990er Jahre, sondern bald auch ganz "andere Ideologien und Praktiken als plausibler erscheinen lassen" werde - "im Guten wie im Schlechten".Und in der Tat, bereits zum Höhepunkt des Menschenrechtsoptimismus wurden schon Stimmen laut, die den Menschenrechten Menschenpflichten entgegenstellen wollten. Zu den Initiatoren einer entsprechenden Erklärung gehörten neben Altkanzler Helmut Schmidt noch eine ganze Reihe weiterer ehemaliger Regierungschefs oder Präsidenten anderer Länder.
Viel bewirkt und größere mediale Aufmerksamkeit hat diese Erklärung der Menschenpflichten nicht, geht es doch auch darin vornehmlich um die Rechte und Pflichten der Menschen unter- und miteinander. Schon zum Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Dokuments hatten sich ganz andere Narrative bezüglich der Menschenpflichten gebildet, deren Inhalt nun aber nicht mehr das Verhältnis zueinander beschrieb, sondern Pflichten der Menschheit unserem Planeten Erde gegenüber. Ganz ohne Menschenrechte geht dieser neue Diskurs aber auch nicht ab, nun müssen die Rechte der kommenden Generationen gegenüber der heutigen geschützt werden. Gegenwärtige Menschenpflicht resultiert aus zukünftigem Menschenrecht. "Ganz andere Ideologien", wie es Samuel Moyn ausdrückte, werden plausibler. Und hier ist es der konstruierte Gegensatz Mensch - Natur, der wieder eine Bipolarität schafft, um aus diesem Spannungsfeld Rechtfertigungen zur Begrenzung von Menschenrechten abzuleiten. Nun stehen nicht nur den heutigen Menschenrechten die von zukünftigen Generationen gegenüber, sondern auch einer Natur, der ebenfalls eigene Rechte eingeräumt werden, was zur Folge hat, dass der Entscheidungsspielraum der heute lebenden Menschen immer weiter eingeschränkt wird.
Bestimmen wird aber unser Handeln der Selbsterhaltungstrieb, der allerdings nicht nur auf einzelne Individuen beschränkt ist, sondern auch für Gesellschaften existiert, was zur Folge hat, dass geopolitische Interessen die eigentlich determinierenden Kräfte sind. So wie das schon zu Zeiten des Kalten Krieges war. Und je stärker eine Ideologie mit absolutem Wahrheitsanspruch die Basis einer Gesellschaft ist, um so mehr treten die Rechte des Individuums in den Hintergrund. Eine moralische Rechtfertigung für diese freiheitsbeschneidenden Maßnahmen, die als Menschenpflicht deklariert werden, bilden die Menschenrechte der Zukunft.
Damit verlassen wir aber den politischen Disput und begeben uns auf das Gebiet einer Prophetie, welche ein Heil in der Zukunft mit Verzicht in der Gegenwart erreichen möchte, dabei der Verzicht eben nicht nur ein materieller ist, sondern auch die Menschenrechte beinhaltet. Je mehr davon gesprochen wird, um so genauer sollte man hinschauen, was wirklich gemeint ist.
Ergänzend zum Thema:
Nachhaltige Entwicklung? - Die Welt gehört den Lebenden...
Beitrag auch erschienen in Glitzerwasser