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Krim-Krise: Warum das Gerede vom Dritten Weltkrieg Unsinn ist

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Der Krim-Konflikt regt derzeit Politiker in aller Welt zu historischen Vergleichen an. Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach am Montag von der „schärfsten Krise seit dem Mauerfall“. Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, warnte am Sonntagabend in der Talkshow von Günther Jauch sogar vor dem Ausbruch eines „Dritten Weltkriegs“. Auch der schwedische Außenminister Carl Bildt sieht Parallelen zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Und der ehemalige tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg zog in einem Interview Vergleiche zu Hitlers Einmarsch im Sudetenland im Jahr 1938. Wie ernst sind die Horrorszenarien zu nehmen, die gerade kursieren? Ein Fact-Check.

Die Lage ist ernst

Lange Zeit haben westliche Länder die explosive Lage in der Ukraine unterschätzt. Viel zu spät ergriffen Politiker aus EU-Staaten die Initiative, um eine diplomatische Lösung zu vermitteln. Der Versuch des „Weimarer Dreiecks“, eine Übereinkunft zwischen den Maidan-Demonstranten und dem damaligen ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch zu vermitteln, schlug folgerichtig fehl – weil alle beteiligten Kräfte nicht mehr zu Kompromissen bereit waren.

Der nächste politische Fehler unterlief den westlichen Politikern, als sie die Situation auf der Krim unterschätzten. Bis vor einer Woche hatte kaum jemand die Entwicklungen auf der Krim erfasst – bis auf Russlands Präsident Wladimir Putin. Der schnelle Ablauf der Ereignisse und die fast planmäßig zustande gekommene Entschließung des russischen Föderationsrates zur Militäraktion auf der Krim lassen darauf schließen, dass Putin im Hintergrund bereits seit längerer Zeit im Hintergrund die Strippen zog. Laut Text der Entschließung ist Putin übrigens auch ermächtigt, in der gesamten Ukraine zu intervenieren – und nicht nur auf der Krim. Das könnte in den kommenden Tagen noch von Bedeutung sein.





Der Westen steht durch internationale Verträge in der Pflicht. Im Jahr 1994 unterzeichneten die USA, Großbritannien und Russland das „Budapester Memorandum“. Darin sichern die Staaten der Ukraine territoriale Integrität zu – im Gegenzug für einen Verzicht auf Atomwaffenbesitz seitens der ukrainischen Regierung. Angela Merkel warf Putin bereits einen „Bruch des Völkerrechts“ vor. In einem Telefonat mit dem amerikanischen Präsidenten Barack Obama sprach sie davon, dass der russische Präsident den „Kontakt zur Realität“ verloren habe. Das angebliche Ultimatum der russischen Marine an die ukrainischen Soldaten auf der Krim könnte ein weiterer gefährlicher Schritt hin zu einer militärischen Eskalation sein.

Zum ersten Mal seit dem Ende der Sowjetunion droht eine russische Militäraktion in einem osteuropäischen Land. Das sorgt vor allem Politiker in Staaten des ehemaligen Ostblocks. In Estland und Lettland etwa gibt es große russische Minderheiten, die jeweils etwa 25 Prozent der Bevölkerung ausmachen. In der Vergangenheit kam es immer wieder zu Spannungen, etwa als im Jahr 2007 in der estnischen Hauptstadt Tallin ein sowjetisches Kriegerdenkmal umgesetzt werden sollte. Das russische Vorgehen zum Schutz der ethnischen Russen in der Ukraine wird in diesen EU-Ländern als Fingerzeig auf die eigenen ethnischen Probleme gewertet.

Russland wäre zu einer längeren militärischen Auseinandersetzung wirtschaftlich kaum fähig

Immer noch ist Russland extrem abhängig von den Einnahmen aus den Rohstoffgeschäften. Der Konzern Gazprom erwirtschaftet allein ein Fünftel der russischen Deviseneinnahmen. Der Anteil des Öl- und Gasexporte am Bruttoinlandsprodukt Russlands betrug im Jahr 2011 schon 13,1 Prozent – Tendenz steigend. Ein Großteil der Einnahmen wird im Handel mit der EU und mit der Türkei erwirtschaftet, also mit Nato-Staaten. Allein 2013 erzielte Gazprom dadurch einen Umsatz von 61,3 Milliarden Dollar. Diese Einnahmen würden im Fall einer militärischen Konfrontation mit dem Westen schlagartig wegbrechen.

Bereits jetzt reagieren die Börsen: Der Aktienkurs von Gazprom verlor binnen einer Woche gut ein Sechstel seines Wertes. Der Konzern büßte damit 45 Milliarden Euro an Marktkapitalisierung ein. Außerdem würde ein langfristiger Konflikt Investoren abschrecken – auf die ist Russland jedoch dringend angewiesen.

Der Mangel an Devisen würde kurzfristig auch auf Rüstungsindustrie durchschlagen. Eventuelle Materialverluste könnten nicht ausgeglichen werden. Russland wäre also kaum in der Lage, sich einen „großen Krieg“ finanziell zu leisten.


Es ist fraglich, ob die westlichen Nationen es zum Äußersten kommen lassen würden

Die Ukraine ist weder EU-Mitglied noch Nato-Bündnispartner. Zwar scheinen die europäischen Nationen angesichts einer drohenden Invasion der Krim endlich an einem Strang zu ziehen – doch es ist unwahrscheinlich, dass sich der Westen in einen militärischen Konflikt mit hineinziehen lässt. Derzeit wird vor allem diplomatischer Druck aufgebaut, um Putin zum Einlenken zu bewegen – eine militärische Intervention wäre aufgrund des russischen Vetorechts im UN-Sicherheitsrat kaum legitimierbar.

Kaum auszuschließen ist es jedoch, dass es zu einem bewaffneten Konflikt innerhalb der Ukraine kommt – die ukrainische Regierung hat bereits alle verfügbaren Reservisten einberufen, und die Führer des „Rechten Sektors“ sammeln Kräfte für eine paramilitärische Aktion. Allein dies wäre ein Szenario mit massiven Auswirkungen auf die politische Lage in Europa. Die Ukraine verfügt über knapp 190.000 reguläre Soldaten und etwa eine Million Reservisten. Bereits jetzt bereiten sich EU-Länder auf einen eventuellen Flüchtlingsstrom vor. Ein Vergleich: Der Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien brachte in den 90er Jahren viele europäische Staaten an die Grenzen ihrer Aufnahmekapazitäten. Die Ukraine hat mit 46 Millionen Einwohnern eine doppelt so große Bevölkerung wie der frühere Vielvölkerstaat auf dem Balkan.


Die meisten historischen Vergleiche sind Nonsens

Fangen wir bei Schwedens Außenminister Carl Bildt an, der bisher eher selten durch hysterische Einwürfe in Erscheinung trat: Er fürchtet, dass wir uns „ein Jahrhundert nach 1914“ wieder in einem Europa der „militärischen Aggression“ befänden. Abgesehen davon, dass Krisenkommunikation heute nicht mehr per Depeschen und Telegrammen stattfindet: Im Jahr 1914 gab es keine internationalen Organe, die vermittelnd auf Konfliktparteien hätten einwirken können. In diesen Tagen wird klar, dass die Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1945 ein riesiger Fortschritt für die internationale Zusammenarbeit war. Richtig ist, dass die am Ersten Weltkrieg beteiligten Nationen wirtschaftlich und kulturell eng miteinander verflochten waren. Aber so groß wie im Jahr 2014 waren die gegenseitigen Abhängigkeiten noch nie – eine Folge der Globalisierung. Zudem liegt die Entscheidungsgewalt nicht mehr in der Hand von einzelnen, ehrpusseligen Monarchen, sondern bei gewählten Staats- und Regierungschefs, die eng miteinander in Kontakt stehen.

Der ehemalige tschechische Außenminister Karel Schwarzenberg verglich Putins Intervention auf der Krim mit Hitlers Vorgehen im Sudetenland. Es stimmt, dass mit den Sudetendeutschen auch damals eine ethnische Minderheit eine größere Schutzmacht um Hilfe rief. Aber der Vergleich zwischen Putin und Hitler ist mehr als absurd und zeugt eher von tschechischen Ängsten als von einer vernunftgetriebenen Betrachtung der außenpolitischen Verhältnisse. Die nationalsozialistische Außenpolitik in den 30er Jahren stand im Zeichen der Vorbereitungen für den Zweiten Weltkrieg, den Hitler bereits in „Mein Kampf“ skizziert hatte. Putin derartige Absichten zu unterstellen, ist infam.

Fraglos richtig ist jedoch, dass die Krim-Krise eine der größten außenpolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts ist, wie der britische Außenminister William Hague sagte.


International wäre Russland weitgehend isoliert

Unter allen militärisch bedeutenden Nationen hat bisher nur China Unterstützung für das Moskauer Vorgehen signalisiert. Doch es ist mehr als fraglich, ob das kommunistische Regime in Peking einen militärischen Konflikt um eine tausende Kilometer entfernte Halbinsel mittragen würde. Der Fokus chinesischer Außenpolitik liegt derzeit auf der Pazifikregion. Kaum vorstellbar, dass sich China in eine Konfrontation mit der Nato verwickeln ließe – der Preis dafür wäre viel zu hoch. Es wäre ein Krieg, in dem alle Beteiligten nicht zu gewinnen, doch alles zu verlieren hätten.

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