Im letzten Beitrag haben wir den Begriff "Queerphobie" erläutert, eine erste These aufgestellt und das aktuelle dramatische Beispiel Ugandas aufgegriffen. Doch auch im eigenen Land können wir Beispiele für Queerphobie finden und nachfragen, was Gründe dafür sein können.
Nach dem Coming Out von Thomas Hitzlsperger am 8.1. wurde das Thema "Homophobie" zwei Wochen lang wie eine Sau durch's mediale Dorf getrieben. In diesem Zusammenhang war "mutig!" das meist verwendete Wort mit zwei indirekten Aufforderungen: "Liebe schwule Fußballer, seid auch so mutig wie Thomas" und "Liebe Fußballer traut euch ja nicht, euch schon in eurer aktiven Zeit zu outen!" Ohne Frage war das Outing von Hitzlsperger ein wichtiger, anerkennenswerter Schritt auf dem Weg zum entspannten Umgang mit Homosexualität. Gleichzeitig wurden bei der Diskussion die Verleugnungen der versteckten Queerphobie in unserem Land offensichtlich: "Ist doch ganz o.k. wenn es da Schwule gibt, aber das können sie ja für sich behalten" oder "Ich kann es tolerieren (erdulden) muss es aber nicht akzeptieren (mich wertschätzend damit auseinandersetzen)."
Im Gegensatz zu außenpolitisch unter existenziellem Druck stehenden Gesellschaftssystemen geht es bei uns in Europa ja nicht mehr um die Notwendigkeit, mit starren Rollenbildern Männer für den Krieg und Frauen für die Aufzucht von Kindern sozialisieren zu müssen (These 1). Was steckt bei uns hinter Queerphobie?
These 2: Queerphobie entsteht aus unreflektierter Wiederholung von Traditionen
Trotz der industriellen Revolution (Maschinen übernehmen körperliche Arbeit) und den Kriegen via 'Joy-Stick' (Soldaten_innen lenken Drohnen) ist auch in modernen Gesellschaften die Angst vor flexiblen Geschlechterrollen vorhanden. Archaische Rollenbilder, welche sich über Jahrtausende entwickelt haben, sind so stark im Unterbewusstsein verankert, dass Abweichungen davon ein mulmiges Gefühl hinterlassen, irritieren, abstoßen oder Angst machen. Sie sind auch strukturell durch familiäre wie gesellschaftliche Geschichten und Rituale so stark verankert, dass wir uns ein Leben jenseits der Heteronorm kaum vorstellen, geschweige denn leben können. Selbst schwule und lesbische Paare versuchen, traditionellen Beziehungsformen mehr oder weniger unreflektiert nahe zu kommen und damit auch gesellschaftlich akzeptiert zu werden.
Identitäts- und Beziehungsfragen werden üblicherweise mit alternativlosen Killerphrasen beantwortet: "Nur Heterosexualität liegt in der Natur des Menschen!", "Abweichungen sind auch von Gott nicht gewollt!", "Homosexualität ist krank und macht unglücklich!", "Das ist nur eine Phase, die überwunden werden muss!"... Selbst bestehende und durchaus erfolgsversprechende Lebens- und Beziehungsformen werden ignoriert, geleugnet beziehungsweise verhöhnt und bekämpft, weil sie das gewohnte Gesellschaftsbild in Frage stellen.
Aber warum das eigene Leben, die eigene Beziehung nicht gelegentlich hinterfragen? Warum nicht überprüfen, ob wir wirklich mit Verstand und Herz noch immer so leben würden, wie wir derzeit leben? Es braucht halt Mut zur Veränderung oder ein soziales Umfeld, dass diese Fragen und alternative Antworten zulässt. Beim Münchner Mediennetzwerk queerelations greifen wir diese Fragen auf und machen ungewöhnliche Identitäts- und Beziehungsformen offensichtlich und verständlich.
These 3: Queerphobie hilft dabei, bestehende Privilegien zu verteidigen
In Unterdrückungssystemen wird Angst geschürt, um Macht zu erlangen beziehungsweise zu erhalten. Mächtige entwickeln Ordnungen, mit denen sie andere in ihre Schranken weisen können. Abwertungsmechanismen wie Rassismus, Xenophobie, Sexismus aber auch Queerphobie geben darüber hinaus den eigenen Gefolgsleuten das Gefühl, 'richtig' oder 'etwas Besseres' zu sein. Bei zunehmendem gesellschaftlichen Druck und in Notzeiten wird ein Ventil für aufgestaute Frustrationen gesucht. Bietet das Ordnungssystem 'Opfer' an, werden die mächtigen 'Täter' meist verschont, und der Volkszorn wendet sich gegen die scheinbar 'Minderwertigen'.
Das Verhalten russischer Rechtsextremer, schwule Männer in die Falle zu locken, sie vor Video-Kameras zu erniedrigen und ihre soziale Existenz zu vernichten, ohne dass Gesetzeshüter vehement dagegen einschreiten, zeigt diesen Mechanismus deutlich. Die Kanalisierung des russischen Unmuts gegen Queers mit Hilfe eines "Anti-Propaganda-Gesetzes" hilft der Führungsriege 'Schuldige' zu identifizieren und von sich und eigenen Fehlern abzulenken. Vermutlich lässt sich auch in Zukunft auf dieser Schiene gut vorankommen, da man Proteste aus dem Westen als Einmischung in eigene Werte und inneren Angelegenheiten verkaufen und mit Patriotismus instrumentalisieren kann.
Mit der Einführung von Menschenrechten in die Gerichtsbarkeit wurden bewusste wie unbewussten Formen der Diskriminierung zunehmend gesehen und geahndet. Doch die Justiz und der Gesetzgeber haben nach wie vor blinde Flecken beziehungsweise unterliegen politischem Kalkül, wenn sie die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz zu ignorieren. Die Gleichsetzung von Homosexuellen mit Kinderschändern und die Beschneidung des Menschenrechts auf Meinungsfreiheit zeigen, wie die Staatsmacht in Russland Diskriminierungen salonfähig und rechtsfähig macht. Auch uns in Deutschland ist dies nicht unbekannt. Die Abschaffung der Nürnberger Rassengesetze nach dem Zweiten Weltkrieg, des Paragraphs 175 nach der Maueröffnung und die Gleichberechtigung der Homo-Ehe in unserer Zeit sind Beispiele für den langen Weg zur juristischen Anerkennung von Menschenrechten.
Doch Queerphobie und Diskriminierung können auch in der Les-bi-schwul-transgender-Community vorkommen, wenn man_frau durch alternative Lebensweisen die eigenen, mühsam eroberten Privilegien gefährdet sieht. Immer dann, wenn wir abschätzig über andere denken, beginnt der Trend zur Diskriminierung. Wenn wir andere abwertend über andere reden lassen, beginnt die Mittäter_innenschaft. Daran sollten wir denken.
Sind diese Thesen stimmig? Was spricht dagegen? Im nächsten Artikel kommende Woche werden weitere Thesen vorgestellt. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldungen und Diskussionsbeiträge auch auf www.queerelations.net!
Nach dem Coming Out von Thomas Hitzlsperger am 8.1. wurde das Thema "Homophobie" zwei Wochen lang wie eine Sau durch's mediale Dorf getrieben. In diesem Zusammenhang war "mutig!" das meist verwendete Wort mit zwei indirekten Aufforderungen: "Liebe schwule Fußballer, seid auch so mutig wie Thomas" und "Liebe Fußballer traut euch ja nicht, euch schon in eurer aktiven Zeit zu outen!" Ohne Frage war das Outing von Hitzlsperger ein wichtiger, anerkennenswerter Schritt auf dem Weg zum entspannten Umgang mit Homosexualität. Gleichzeitig wurden bei der Diskussion die Verleugnungen der versteckten Queerphobie in unserem Land offensichtlich: "Ist doch ganz o.k. wenn es da Schwule gibt, aber das können sie ja für sich behalten" oder "Ich kann es tolerieren (erdulden) muss es aber nicht akzeptieren (mich wertschätzend damit auseinandersetzen)."
Im Gegensatz zu außenpolitisch unter existenziellem Druck stehenden Gesellschaftssystemen geht es bei uns in Europa ja nicht mehr um die Notwendigkeit, mit starren Rollenbildern Männer für den Krieg und Frauen für die Aufzucht von Kindern sozialisieren zu müssen (These 1). Was steckt bei uns hinter Queerphobie?
These 2: Queerphobie entsteht aus unreflektierter Wiederholung von Traditionen
Trotz der industriellen Revolution (Maschinen übernehmen körperliche Arbeit) und den Kriegen via 'Joy-Stick' (Soldaten_innen lenken Drohnen) ist auch in modernen Gesellschaften die Angst vor flexiblen Geschlechterrollen vorhanden. Archaische Rollenbilder, welche sich über Jahrtausende entwickelt haben, sind so stark im Unterbewusstsein verankert, dass Abweichungen davon ein mulmiges Gefühl hinterlassen, irritieren, abstoßen oder Angst machen. Sie sind auch strukturell durch familiäre wie gesellschaftliche Geschichten und Rituale so stark verankert, dass wir uns ein Leben jenseits der Heteronorm kaum vorstellen, geschweige denn leben können. Selbst schwule und lesbische Paare versuchen, traditionellen Beziehungsformen mehr oder weniger unreflektiert nahe zu kommen und damit auch gesellschaftlich akzeptiert zu werden.
Identitäts- und Beziehungsfragen werden üblicherweise mit alternativlosen Killerphrasen beantwortet: "Nur Heterosexualität liegt in der Natur des Menschen!", "Abweichungen sind auch von Gott nicht gewollt!", "Homosexualität ist krank und macht unglücklich!", "Das ist nur eine Phase, die überwunden werden muss!"... Selbst bestehende und durchaus erfolgsversprechende Lebens- und Beziehungsformen werden ignoriert, geleugnet beziehungsweise verhöhnt und bekämpft, weil sie das gewohnte Gesellschaftsbild in Frage stellen.
Aber warum das eigene Leben, die eigene Beziehung nicht gelegentlich hinterfragen? Warum nicht überprüfen, ob wir wirklich mit Verstand und Herz noch immer so leben würden, wie wir derzeit leben? Es braucht halt Mut zur Veränderung oder ein soziales Umfeld, dass diese Fragen und alternative Antworten zulässt. Beim Münchner Mediennetzwerk queerelations greifen wir diese Fragen auf und machen ungewöhnliche Identitäts- und Beziehungsformen offensichtlich und verständlich.
These 3: Queerphobie hilft dabei, bestehende Privilegien zu verteidigen
In Unterdrückungssystemen wird Angst geschürt, um Macht zu erlangen beziehungsweise zu erhalten. Mächtige entwickeln Ordnungen, mit denen sie andere in ihre Schranken weisen können. Abwertungsmechanismen wie Rassismus, Xenophobie, Sexismus aber auch Queerphobie geben darüber hinaus den eigenen Gefolgsleuten das Gefühl, 'richtig' oder 'etwas Besseres' zu sein. Bei zunehmendem gesellschaftlichen Druck und in Notzeiten wird ein Ventil für aufgestaute Frustrationen gesucht. Bietet das Ordnungssystem 'Opfer' an, werden die mächtigen 'Täter' meist verschont, und der Volkszorn wendet sich gegen die scheinbar 'Minderwertigen'.
Das Verhalten russischer Rechtsextremer, schwule Männer in die Falle zu locken, sie vor Video-Kameras zu erniedrigen und ihre soziale Existenz zu vernichten, ohne dass Gesetzeshüter vehement dagegen einschreiten, zeigt diesen Mechanismus deutlich. Die Kanalisierung des russischen Unmuts gegen Queers mit Hilfe eines "Anti-Propaganda-Gesetzes" hilft der Führungsriege 'Schuldige' zu identifizieren und von sich und eigenen Fehlern abzulenken. Vermutlich lässt sich auch in Zukunft auf dieser Schiene gut vorankommen, da man Proteste aus dem Westen als Einmischung in eigene Werte und inneren Angelegenheiten verkaufen und mit Patriotismus instrumentalisieren kann.
Mit der Einführung von Menschenrechten in die Gerichtsbarkeit wurden bewusste wie unbewussten Formen der Diskriminierung zunehmend gesehen und geahndet. Doch die Justiz und der Gesetzgeber haben nach wie vor blinde Flecken beziehungsweise unterliegen politischem Kalkül, wenn sie die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz zu ignorieren. Die Gleichsetzung von Homosexuellen mit Kinderschändern und die Beschneidung des Menschenrechts auf Meinungsfreiheit zeigen, wie die Staatsmacht in Russland Diskriminierungen salonfähig und rechtsfähig macht. Auch uns in Deutschland ist dies nicht unbekannt. Die Abschaffung der Nürnberger Rassengesetze nach dem Zweiten Weltkrieg, des Paragraphs 175 nach der Maueröffnung und die Gleichberechtigung der Homo-Ehe in unserer Zeit sind Beispiele für den langen Weg zur juristischen Anerkennung von Menschenrechten.
Doch Queerphobie und Diskriminierung können auch in der Les-bi-schwul-transgender-Community vorkommen, wenn man_frau durch alternative Lebensweisen die eigenen, mühsam eroberten Privilegien gefährdet sieht. Immer dann, wenn wir abschätzig über andere denken, beginnt der Trend zur Diskriminierung. Wenn wir andere abwertend über andere reden lassen, beginnt die Mittäter_innenschaft. Daran sollten wir denken.
Sind diese Thesen stimmig? Was spricht dagegen? Im nächsten Artikel kommende Woche werden weitere Thesen vorgestellt. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldungen und Diskussionsbeiträge auch auf www.queerelations.net!
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