Bundespräsident Christian Wulff ist seit heute juristisch rehabilitiert. Er ist nicht das korrupte Staatsoberhaupt gewesen, für das ihn viele gehalten haben. Der CDU-Politiker hat nichts unversucht gelassen, um diese Feststellung vor dem Landgericht Hannover zu erstreiten, auch einen möglichen Deal mit der Staatsanwaltschaft hat er ausgeschlagen.
Und er hat einen hohen Preis dafür bezahlt: Noch einmal wurde sein Privatleben in aller Öffentlichkeit besprochen und bespöttelt. Dass er diese Opfer im Sinne seiner Rehabilitierung erbracht hat, verdient Respekt.
Kein guter Bundespräsident
Zur Klarheit sei gesagt: Seine politische Leistung bleibt von dem Urteil unberührt. Christian Wulff war kein guter Bundespräsident. Die anderthalb Jahre seiner Amtszeit waren bewegt: In der arabischen Welt gingen Millionen von jungen Menschen auf die Straße, um gegen autoritäre Herrscher zu protestieren. Südeuropa stürzte in die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, und in Deutschland wurde 2011 parallel zum schnellen Auf- und Abstieg der Piratenpartei über Datensicherheit debattiert. Zu keinem der großen Themen seiner Zeit fand Wulff klare Worte.
Der einzige Satz, der von ihm hängen blieb war: „Der Islam gehört zu Deutschland." Das ist für jeden Großstädter in Deutschland keine sonderlich atemberaubende Erkenntnis und verfing eher in jenen Kreisen, die so etwas noch als Provokation empfinden. Wulff war ein ratloser Präsident.
Über Wulff brach eine mediale Vernichtungswelle herein
Was er jedoch nicht verdient hat, ist der Candystorm, der ihn jetzt trifft. Journalisten vieler großer Medien entschuldigen sich jetzt bei ihm. Den Anfang machte schon im Frühjahr 2013 der „Stern"-Journalist Hans-Ulrich Jöges, immerhin Mitglied der Chefredaktion seines Blattes. Auch dem „Spiegel" kamen Zweifel.
Reporterin Gisela Friedrichsen fragte im Herbst vergangenen Jahres: „In welcher Welt leben diese Staatsanwälte eigentlich?" Der investigative Journalist Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung" sieht Wulff heute ebenso als Opfer, wie er am Donnerstag im ARD-Morgenmagazin sagte.
Der Preis der „Bobbycar-Affäre"
Man fragt sich unwillkürlich: Wo war diese doch erstaunliche Einsicht im Winter 2012, als viele Medien allzu eindeutig über Wulff urteilten? Es gab auch damals schon Momente, die Anlass zum Nachdenken hätten geben können. Etwa, als die „Berliner Zeitung" hoffte, sich mit der „Bobbycar-Affäre" an die Spitze der Wulff-Jäger setzen zu können. Ein Autohändler hatte einen der knallroten Kinderflitzer an Wulffs Adresse geschickt, der Bundespräsident hatte sich damals auf offiziellem Briefpapier bedankt und das inkriminierte Gefährt seinem Sohn zum Spielen überlassen. Auch die „Zeit" sah Wulff damals unter „verstärktem Erklärungsdruck".
Der „verstärkte Erklärungsdruck" ist eine typische Floskel, die Nachrichtenjournalisten verwenden, um eine Story „weiterzudrehen". Die Wortwendung suggeriert, dass es jetzt an dem Beschuldigten liegt, Antworten zu liefern. Genauso lief die Affäre damals ab: Journalisten in ganz Deutschland wollten damals das letzte, entscheidende Argument liefern, das die öffentliche Meinung kippen lassen sollte.
Medialer Rufmord
Viele Versuche waren dabei redlich: Denn in der Tat hatte sich der Bundespräsident in einem Geflecht von privaten Freundschaften verfangen, die sein politisches Handeln in einem sehr unguten Licht erschienen ließen. Man erinnere sich an die Anzeigen für das Wulff-Interviewbuch mit dem vielsagenden Titel „Besser die Wahrheit", die 2007 laut „Bild" von Carsten Maschmeyer bezahlt wurden. Ein anderer Freund von Christian Wulff, der Filmproduzent David Groenewold, soll dem Autor 10.000 Euro für seine Arbeit bezahlt haben. Aber allzu oft schossen Journalisten weit über das Ziel hinaus.
Etwa, als über die Vergangenheit von Wulffs damaliger Frau Bettina spekuliert wurde. Eine Legende im politischen Berlin ging damals so: „Bild"-Chef Kai Diekmann hätte „belastendes" Material in seinem Safe liegen und warte nur darauf, den richtigen Zeitpunkt für eine Veröffentlichung zu finden. Natürlich war das Rufmord. Die Gerüchte verbreiteten sich in einer Art und Weise, wie man das sonst nur von verschlafenen katholischen Mittelgebirgsdörfern kennt, in denen die gesellschaftliche Atmosphäre derart reizarm ist, dass allein der Konjunktiv eines vermeintlichen Skandals Tage und Wochen an Geschwätz produziert. Und natürlich stellt sich auch die Frage, was Journalisten eigentlich sonst so beschäftigt, dass sie sich selbst nach Feierabend noch mit solchem Klatsch befassen.
Erschreckendes Abbild der Gesellschaft
Vor diesem Hintergrund ist die Entschuldigungshaltung, in die viele Journalisten nun verfallen, nichts weiter als Heuchelei. Warum? Weil sie keine Konsequenzen zur Folge hat. Es ist ein wiederkehrendes Muster in der Debatte um öffentliche Personen: Erst wird lauthals der Schaden beklagt, den allzu schlagzeilengetriebene Berichterstattung anrichtet. Und dann kehren alle zurück zum Tagesgeschäft.
Das war auch im Fall Robert Enke nicht anders. Die Diskussion um den öffentlichen Druck, den Sportler in Deutschland aushalten müssen, ist weitgehend verpufft. Babak Rafati wurde bis 2011 viermal im Fachmagazin „Kicker" zu „Deutschlands schlechtestem Schiedsrichter" gekürt. Erst Rafatis Selbstmordversuch vor dem Bundesligaspiel 1.FC Köln gegen Mainz 05 löste wieder landläufige Betroffenheit aus.
Der Kampf gegen journalistische Rudelbildung
Der Freispruch für Christian Wulff wäre nun Anlass, innezuhalten. Nach welchem Maßstäben urteilen Journalisten? Sind wir am Ende allzu oft ungerecht, weil sich schlechte Nachrichten angeblich besser verkaufen als gute? Und kommt nicht gerade den Journalisten in Leitungsfunktionen die Verantwortung zu, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die eigene Auflagenentwicklung hinter die schnell produzierte Schlagzeile zu stellen?
Eines ist jedenfalls sicher: Es gibt in einer Demokratie keine rechtlichen Mechanismen, die journalistische Rudelbildung stoppen könnten. Das einzige, was funktioniert, ist gesellschaftlicher Druck.
Und er hat einen hohen Preis dafür bezahlt: Noch einmal wurde sein Privatleben in aller Öffentlichkeit besprochen und bespöttelt. Dass er diese Opfer im Sinne seiner Rehabilitierung erbracht hat, verdient Respekt.
Kein guter Bundespräsident
Zur Klarheit sei gesagt: Seine politische Leistung bleibt von dem Urteil unberührt. Christian Wulff war kein guter Bundespräsident. Die anderthalb Jahre seiner Amtszeit waren bewegt: In der arabischen Welt gingen Millionen von jungen Menschen auf die Straße, um gegen autoritäre Herrscher zu protestieren. Südeuropa stürzte in die schlimmste Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten, und in Deutschland wurde 2011 parallel zum schnellen Auf- und Abstieg der Piratenpartei über Datensicherheit debattiert. Zu keinem der großen Themen seiner Zeit fand Wulff klare Worte.
Der einzige Satz, der von ihm hängen blieb war: „Der Islam gehört zu Deutschland." Das ist für jeden Großstädter in Deutschland keine sonderlich atemberaubende Erkenntnis und verfing eher in jenen Kreisen, die so etwas noch als Provokation empfinden. Wulff war ein ratloser Präsident.
Über Wulff brach eine mediale Vernichtungswelle herein
Was er jedoch nicht verdient hat, ist der Candystorm, der ihn jetzt trifft. Journalisten vieler großer Medien entschuldigen sich jetzt bei ihm. Den Anfang machte schon im Frühjahr 2013 der „Stern"-Journalist Hans-Ulrich Jöges, immerhin Mitglied der Chefredaktion seines Blattes. Auch dem „Spiegel" kamen Zweifel.
Reporterin Gisela Friedrichsen fragte im Herbst vergangenen Jahres: „In welcher Welt leben diese Staatsanwälte eigentlich?" Der investigative Journalist Hans Leyendecker von der „Süddeutschen Zeitung" sieht Wulff heute ebenso als Opfer, wie er am Donnerstag im ARD-Morgenmagazin sagte.
Der Preis der „Bobbycar-Affäre"
Man fragt sich unwillkürlich: Wo war diese doch erstaunliche Einsicht im Winter 2012, als viele Medien allzu eindeutig über Wulff urteilten? Es gab auch damals schon Momente, die Anlass zum Nachdenken hätten geben können. Etwa, als die „Berliner Zeitung" hoffte, sich mit der „Bobbycar-Affäre" an die Spitze der Wulff-Jäger setzen zu können. Ein Autohändler hatte einen der knallroten Kinderflitzer an Wulffs Adresse geschickt, der Bundespräsident hatte sich damals auf offiziellem Briefpapier bedankt und das inkriminierte Gefährt seinem Sohn zum Spielen überlassen. Auch die „Zeit" sah Wulff damals unter „verstärktem Erklärungsdruck".
Der „verstärkte Erklärungsdruck" ist eine typische Floskel, die Nachrichtenjournalisten verwenden, um eine Story „weiterzudrehen". Die Wortwendung suggeriert, dass es jetzt an dem Beschuldigten liegt, Antworten zu liefern. Genauso lief die Affäre damals ab: Journalisten in ganz Deutschland wollten damals das letzte, entscheidende Argument liefern, das die öffentliche Meinung kippen lassen sollte.
Medialer Rufmord
Viele Versuche waren dabei redlich: Denn in der Tat hatte sich der Bundespräsident in einem Geflecht von privaten Freundschaften verfangen, die sein politisches Handeln in einem sehr unguten Licht erschienen ließen. Man erinnere sich an die Anzeigen für das Wulff-Interviewbuch mit dem vielsagenden Titel „Besser die Wahrheit", die 2007 laut „Bild" von Carsten Maschmeyer bezahlt wurden. Ein anderer Freund von Christian Wulff, der Filmproduzent David Groenewold, soll dem Autor 10.000 Euro für seine Arbeit bezahlt haben. Aber allzu oft schossen Journalisten weit über das Ziel hinaus.
Etwa, als über die Vergangenheit von Wulffs damaliger Frau Bettina spekuliert wurde. Eine Legende im politischen Berlin ging damals so: „Bild"-Chef Kai Diekmann hätte „belastendes" Material in seinem Safe liegen und warte nur darauf, den richtigen Zeitpunkt für eine Veröffentlichung zu finden. Natürlich war das Rufmord. Die Gerüchte verbreiteten sich in einer Art und Weise, wie man das sonst nur von verschlafenen katholischen Mittelgebirgsdörfern kennt, in denen die gesellschaftliche Atmosphäre derart reizarm ist, dass allein der Konjunktiv eines vermeintlichen Skandals Tage und Wochen an Geschwätz produziert. Und natürlich stellt sich auch die Frage, was Journalisten eigentlich sonst so beschäftigt, dass sie sich selbst nach Feierabend noch mit solchem Klatsch befassen.
Erschreckendes Abbild der Gesellschaft
Vor diesem Hintergrund ist die Entschuldigungshaltung, in die viele Journalisten nun verfallen, nichts weiter als Heuchelei. Warum? Weil sie keine Konsequenzen zur Folge hat. Es ist ein wiederkehrendes Muster in der Debatte um öffentliche Personen: Erst wird lauthals der Schaden beklagt, den allzu schlagzeilengetriebene Berichterstattung anrichtet. Und dann kehren alle zurück zum Tagesgeschäft.
Das war auch im Fall Robert Enke nicht anders. Die Diskussion um den öffentlichen Druck, den Sportler in Deutschland aushalten müssen, ist weitgehend verpufft. Babak Rafati wurde bis 2011 viermal im Fachmagazin „Kicker" zu „Deutschlands schlechtestem Schiedsrichter" gekürt. Erst Rafatis Selbstmordversuch vor dem Bundesligaspiel 1.FC Köln gegen Mainz 05 löste wieder landläufige Betroffenheit aus.
Der Kampf gegen journalistische Rudelbildung
Der Freispruch für Christian Wulff wäre nun Anlass, innezuhalten. Nach welchem Maßstäben urteilen Journalisten? Sind wir am Ende allzu oft ungerecht, weil sich schlechte Nachrichten angeblich besser verkaufen als gute? Und kommt nicht gerade den Journalisten in Leitungsfunktionen die Verantwortung zu, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die eigene Auflagenentwicklung hinter die schnell produzierte Schlagzeile zu stellen?
Eines ist jedenfalls sicher: Es gibt in einer Demokratie keine rechtlichen Mechanismen, die journalistische Rudelbildung stoppen könnten. Das einzige, was funktioniert, ist gesellschaftlicher Druck.